Der Effekt des Schmetterlings oder Tag der Blumen I
2025-06-01

Ein Artikel von Malik Meyer

Die Samen für die Tage der Blumen, also genauer gesagt: die Samen für den Blumenkranz Workshop mit Frau Stasia, wurden bereits an dem Tag, an dem der Market Groseria das erste Mal öffnete, gesät. Und zwar mit unserem ersten Gast im Laden: Pani Stasia, also Frau Stasia. Mit ihr teilen wir seit einigen Jahren Momente des Austauschs. Sie wohnt in Stolec und nun am ersten Tag, lief sie über die Straße auf den Laden zu.
Als ich sie sah, fragte ich mich, was sie in der Hand hielt. Als sie näherkam, erkannte ich mehr und mehr, was es war.

Eine Krone? Eine Krone aus Blumen? Nein, tatsächlich, ein Blumenkranz.

Einen Blumenkranz, den sie selbst gefertigt hat, mit Blumen aus ihrem Garten, die sie uns als Willkommensgeschenk übergab, und wir ahnten noch nicht, was aus solch einem Geschenk werden könnte. Wir verblieben mit ihr am Tisch und tranken Tee. Gemeinsam erdachten wir uns, was die nächsten Tage noch passieren sollte oder könnte. Wie so oft hörten wir ihren Anekdoten zu und lachten mit ihr. Der Austausch hielt heiter, sie sprach über Charaktere und Geschichten, an die sie sich erinnerte und die sie sich erdachte. Solche die für uns, wie sie meinte, inspirierend sein könnten.

Drei Tage später. Wir sitzen am Tisch neben dem Laden, auf der Bühne des flüssigen Steins. Wir (Kolja, Luiza, Ola und ich) tauschen Geschichten und Erfahrungen mit Robert und Ron aus, eine unerwartete erste Begegnung hier im Laden, der ich demnächst ein eigenes Textfragment widmen möchte.

Luiza fallen während unserer Gespräche die Schmetterlinge am Baum über uns auf. Und uns allen zieht die Aufmerksamkeit nun nach oben. Den Blick gerichtet an den Busch über uns fallen uns nun einige kleinere Bewegungen auf. Unter den Schmetterlingen hört man auch Bienen summen und Blätter wie Äste, die sich leicht bewegen. Und parallel, wie wir so diese kleinen Geschehnisse sichten, da nehme ich ihn wieder mal wahr: den fragilen Moment des Dialogs, dem zwischen Individuen, zwischen Perspektiven, die an einem Tisch sitzen, und Gemeinsamkeiten und Unterschiede teilen, mitteilen. Der einzigen Rahmenbedingungen ausgesetzt, der des Tauschhandels, an einem Treffpunkt in den Geschichten getauscht werden mit einem Kaffee oder einem Tee.

Während ich also den Unterhaltungen zuhöre, und den Gesichtsausdrücken folge, geht meine Aufmerksamkeit wieder zu dem Bild des Schmetterlings.



Ich erinnre mich, dass es da diese Redensart gibt. Die bildhaft zum Ausdruck bringt, dass schon der Flügelschlag eines Schmetterlings an einem Punkt auf der Erde das Wettergeschehen an einem anderen Ort zu beeinflussen vermag. Das bleibt in meinem Kopf. Es bildet noch etwas. Der Laden bildet mit der Abgrenzung des Zaunes sein eigenes kleines Stück Erde. Ein kleiner Ort. Und es geschehen eigene Atmosphären. Es bilden sich dialogische Flügelschläge, die ineinander ergehen und aneinander Wachstum und Austausch Chancen geben, sich zu treffen. Diese Flügelschläge steigen und fallen, kommen und gehen und dazu erdenke ich mir dieses Zusammenspiel, als Schema dieses Ortes, als Treffpunkt – und die Begegnung an diesem Ort als unsere Vehikel. Begegnung, die im natürlichen wie im kulturellen Sinne sich selbst formen, und wieder im Weiteren, in den Anstoß eines Flügelschlags resultieren. Wie der Ort, das Stück Erde, auf dem wir sitzen, etlicher Erinnerungen schwer, einen solches Potential bildet, und uns fordert die Blicke auf diese Momente im dazwischen zu richten und den diversen Flügelschlägen einen Rahmen zu geben. Zu erfahren, wie sie ausgelöst werden und was sie auslösen. Das Dazwischen bildet Virtualität.

Meine Gedanken werden, mit Freude, unterbrochen durch den Besuch von Pani Stasia, die nun fast täglich vorbeischaut. Sie setzt sich zu uns. Sie trinkt mit uns einen Tee und wird Teil des Gesprächs. Inspiriert über das Gespräch von Robert und Ron sprechen wir auch mit Ihr über Autos, sie zeigt uns ihre Lieblingsautos.
Und, parallel zur Unterhaltung, schrieb Kolja etwas auf seinem Handy, er streckt es zu Ihr aus und lässt die Audiostimme für ihn auf Polnisch sprechen. Ich höre die Stimme und verstehe nicht ganz, Frau Stasia hat ein Lächeln auf dem Gesicht. Die Frage, die er den Übersetzer hat stellen lassen, bezieht sich auf die Bitte, ob sie ihm zeigen könnte, wie man die Blumenkränze macht – so einen Blumenkranz, wie sie ihn am ersten Tag zu uns brachte. Sie ist beeindruckt und bejaht mit einer sichtbaren Freude die Frage. Bevor das Gespräch zwischen Frau Stasia, Kolja und dem virtuellen Übersetzer weitergehen kann, schlägt Luiza bereits vor, dass man am nächsten Tag direkt einen Workshop machen und weitere Menschen einladen könnte. Die Freude in den Augen von Frau Stasia wächst.

„Wirklich?“, fragt sie. „Natürlich“ lassen wir sie wissen. Wir erklären ihr, dass wir gerne von ihr lernen wollen und dass wir es als eine gute Möglichkeit sehen mit ihr gemeinsam diesen Raum des Austausches zu schaffen. Und so wurde der Workshop auch am nächsten Tag zur geplanten Uhrzeit angesetzt. Luiza hatte einige Menschen zusammengetrommelt, es versammelten sich Künstler*innen und Menschen aus dem Dorf neben dem Laden. Das Prozedere bildete ein Wechselspiel von Pflücken und Binden. Die Blumen wurden zu Kränzen gebunden, die Kränze bildeten Verbindungen und sollten dann ihren Platz an der Fensterfassade von dem Laden Platz finden.

Market Groseria wurde über einen längeren Zeitraum geplant, es sollte darauf Wert gelegt werden Raum und Zeit für Interaktionen zu schaffen, die aus Aktionen und Reaktionen wachsen. Als Theatermacher habe ich das Bedürfnis Räume zu erforschen und zu schaffen, und mit Groseria wollte ich auch den Versuch wagen diese Prozesse, die normalerweise im Theaterraum stattfinden, in den öffentlichen Raum, in den Treffpunkt des Ladens, zu übersetzen. Aktionen und Reaktionen im Theaterprozess sollten sich nun im Momentum widerspiegeln. In dem Künstler sowie Menschen aus dem Dorf und Gäste auf der Durchreise zu Hybrid -Akteure werden sollten, sie befinden sich sowohl in Aktion, Reaktion als auch in Interaktion und bilden daraus das Potential von theatralischen und dialogischen Bildern, die einen Mehrwert für den kulturellen Prozess des Market Groserias haben.

Dem Bild des Schmetterlings, dem es erlaubt ist auf einer Blume zu sitzen, dem eigenen Raum nah, und mit Ausblick auf ein Vorhaben, mit dem Bedürfnis nach Austausch, hier mit diesen Bedürfnissen bilden sich Dialoge, die ihren Rahmen finden, sobald man auf sie reagiert, und sie im längeren Zeitraum die Möglichkeit haben Formen anzunehmen und dann ihre Bedeutung im Prozess finden. Diese Momente, diese Formen interessieren mich.

Was passierte nun danach?
Die Wirkung, die wir durch diese Begegnungen auslösen können, bildet die Grundlage für unsere Tauschhandel. So kann dann ein Ort geschaffen werden, an dem Akteure und Gemeinschaft, Künstler*innen und Zuschauer*innen gemeinsam interagieren und handeln können. So belässt man was Natur (natürlich) ist und findet Rahmen der Kultur (künstlerische) und bildet Brücken.

Wie bereits geschildert, wurden die Blumenkränze nach dem Workshop an den Fenstern des Ladens aufgehängt. In den nächsten Wochen sollten sie einen Akt des Moments bilden – eine Frage, ein Bedürfnis zu fragen und zu lernen.
Mit der Zeit werden sie immer trockener und farbloser werden. Aber auch ihr Verwelken steht, wie der Laden, für Konstruktion und Dekonstruktion, für Fülle und Leere. Und für ein immer wiederkehrenden Moment der Begegnung und Konfrontation mit dem natürlichen und dem kulturellen des Ortes und dem Narrativ des Ladens. Der Erinnerung und der Gegenwart.

Und so führt ein Moment in den Andern. Eine Frage zu einem Gedanken. Von der Beobachtung eines Schmetterlings und dessen Flügelschlag, der eine Böe ausgelöst hat, der Individuen zusammengebracht hat. Vom Garten ins Dorf, in den Laden und in die Tat. Das Geschenk eines Blumenkranzes half uns inspiriert neugierig zu bleiben. Diese aneinandergereihten Momente bildeten einen Rahmen des Tages der Raum für Blumen gab. Und es sollte nicht der letzte Tag sein an den Blumen in Stolec eine Interaktion bilden sollten.

Nun stelle ich mir weiterhin die Frage: Ist der Akt der Übergabe des Kranzes bereits ein theatralischer Moment? Ich denke, ja. Da wir den Begriff für uns neu übersetzen und im Laden, mit der Idee des Raumes, jedes Treffen unter einer fragilen Beobachtung stellen. Und auch hat er uns in einen Dialog geführt und uns ermöglicht uns mit der Gemeinschaft auszutauschen. Wohl mehr den Treffpunkt eines kollektiven Erfahrens zu schaffen. Und auch der Akt der Erinnerung, das Trocknen eines einst farbenfrohen Kranzes, bildet einen stillen langsamen theatralischen Akt, der den Laden weiter in Kontext setzt.


Nun, bleibt uns die Zeit diesen zu beobachten?





Foto 1 und 3: Kolja Kraft
Foto 2: Luiza Supernak

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