Für wen machen wir Kunst?
2025-05-09

Ein Artikel von Julla Kroner

Als ich angefangen habe, Performance zu machen, war mein Ziel, gemeinschaftliche Orte zu schaffen. Ich habe versucht, herauszufinden, was Gemeinschaft überhaupt ist. Dabei bin ich auf den Unterschied zwischen Gemeinschaft und Community gestoßen.

Nach Byung-Chul Han ist die Gemeinschaft ein lokaler Ort des Zusammenkommens. Ein Ritual der Kommunikation. Die Community allerdings ist der digitale Raum und somit ein dezentrales Zusammenkommen. Die Kommunikation wird zur reinen Information. „Diese Gemeinschaft ohne Kommunikation weicht einer Kommunikation ohne Gemeinschaft.“ (Byung-Chul Han – Krise der Narration, Matthes und Seitz Berlin, 2023)

Da in meiner Generation verankert, befinde ich mich vor allem in Communities. Aber in mir steckt auch die Suche nach der Gemeinschaft. Und so suchte ich in Hausprojekten, ethnologischen Studien, Schulen, Kinderprojekten, Familien.

Aber in den letzten Jahren habe ich den Fokus darauf verloren, Gemeinschaftsorte zu schaffen – ich verlor mich in theoretischem Denken darüber, nachzudenken, was die komplette Welt zu einer Gemeinschaft machen könnte. Dazu kommt die aktuelle Lage in der Politik und im Kulturbetrieb. Keine großen Performances waren mehr möglich, ich wurde zur Allein-Arbeitenden Künstlerin, die still im Atelier sitzt und liest und produziert. Lost in the Community. Und die Gemeinschaftspraktiken wanderten in das private.

Und dann, genau in dieser Krise, bekam ich einen Anruf von Malik Meyer.

„Hey, es gibt da diesen Laden in Stolec, das ist ein Dorf in Polen an der deutschen Grenze. Der Laden ist seit Jahren geschlossen, aber ich will ihn für einen Monat bespielen!“


Darauf folgte eine Stunde Erzählungen über die Leute, die zu diesem Laden kommen sollen. Jede Person einzeln aufgezählt und detailliert erklärt, was sie jeweils tun. Bis zur letzten Person, mich, und die Frage, ob ich auch kommen würde.

Und klar, ich bin hingefahren. Leider konnte ich nicht für den gesamten Zeitraum kommen, und kam deshalb zwei Wochen bevor das Projekt endete.

Die Idee war simpel. Ein antikapitalistischer Ort für Kunst. Das Dorf sind unsere Gastgeberinnen. Die Künstlerinnen sind die Gastgeberinnen des Ladens. Wenn Menschen in den Laden kommen, bieten sie ihnen Kaffee, Tee und Snacks an. Sie nehmen kein Geld dafür an. Alkohol ist auf der Fläche verboten, sowohl für die Künstlerinnen, als auch für die Gästinnen. Auch wir sind Gästinnen. Also sollten wir uns auch wie solche verhalten. Aber wir sind auch Künstler*innen, und sollten deswegen auch provozieren, wenn wir den Sinn dafür fühlen.

Bevor ich in Stolec ankam, fragte ich mich, wie es wohl ist, in einem Dorf, dass so klein ist, dass die Briefkästen an einem Ort sind. Malik hatte mir bei einem zweiten langen Anruf von allen Leuten erzählt, die in dem Projekt teilnehmen würden – aber ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde.

Also, das Projekt „Market Groseria“, wörtlich Lebenssmittelgeschäft, wurde geboren. Und die Gruppe, die vor Ort und zu Gast war – hatte zu dem Zeitpunkt, als ich ankam, schon viel getan. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es waren Performances, Impro Abende, Ausstellungen, Workshops, Themen Abende, zeitgenössischer Tanz, Musik, Jam Sessions, Kränzeflechten, Feuer Shows, Kartenspiele und sehr viel Kommunikation. Die Menschen im Dorf und aus Umgebung kamen eigentlich jeden Abend und verbrachten ihre Zeit dort.

Am ersten Abend platzte ich in einen Kartenspielabend hinein. Ich bekam eine Situation mit, in welcher Piotr aus Stolec anfing, den Künstler*innen etwas zurückzugeben. Er machte ein Lied über Market Groseria mit einer KI. In dem Song ging es darum, dass an diesem Ort alle zusammenkommen. Und glücklich sind.

Und da tauchte diese Frage in meinem Kopf auf. Ich realisierte sofort, dass ich einen anderen Grund in mir fand, Kunst zu machen. Die Menschen in Stolec genossen die verschiedenen Arten von Kunst. Manche gefielen ihnen besser, manche schlechter. So wie mir manche Sachen gefallen, und manche nicht. Aber nebeneinanderstehend, sind wir bereit, alle Formen anzusehen und zu rezipieren. Alle sind offen zu sehen, zu hören – aber auch zu sprechen und zu reagieren.

Ich realisierte die große Liebe und Akzeptanz in diesem eigentlich aufgegebenen Raum. Die Liebe für die Menschen, die zu Gast waren. Und auch in ihrer Abwesenheit noch zu Gast sind. Und ich kam neu dazu. Ich fühlte mich zu Anfang etwas schüchtern, aber auch sehr interessiert. Und das merkte ich auch bei meinen Gastgeber*innen. Und so fing ich an, an einer Performance zu arbeiten. Ich wollte das Dorf spiegeln. Aber ich wollte nichts erzählen, was sie schon wussten, und ich wollte mir ihre Geschichte auch nicht aneignen. Ich wollte etwas Komplexes entstehen lassen, aber auch etwas Verständliches.


Und da war sie – die Frage –
Für wen mache ich das alles überhaupt?   

Ich fühlte mich in meiner Kunst. Und verstand sie auf einmal als Geschenk. Manchmal, wenn man in seiner alltäglichen Praxis als Künstler*in befindet – in Miete zahlen, Atelier und Wohnung, soll ich Geld mit meiner Kunst machen oder nicht, wer kauft das überhaupt, wer sieht das überhaupt, wer findet das eigentlich gut was ich mache – ist es leicht den Fokus zu verlieren. Ich war immer versucht, Kunst als eine gemeinschaftliche Angelegenheit zu betrachten. Ein offenes Gerüst für alle – einfache Sprache, aber damit komplexe Dinge beschreiben. Aber in diesem Moment realisierte ich, dass ich begonnen hatte, simple Probleme mit komplexer Sprache zu erklären. Das muss nichts Falsches sein und ist auch ein gängiges Ding in der Kunst, aber das war ja nie das, was ich mit meiner Kunst wollte.

Market Groseria wollte alles zu einer Zeit sein. Komplex, spaßig, einfach, ein Test. Und es hat funktioniert. Weil es die Augen immer offen gehalten hat nach Menschen, die einfach nur Interesse haben. Ich erinnerte mich daran, dass Künster*innen eine Verantwortung haben. Und in diesen Zeiten brauchen wir diese Verantwortung mehr denn je. Wir müssen Kommunikation schaffen, Orte schaffen, in denen es möglich ist, Gemeinschaft und Kunst zu sein. Es ist wichtig, dass alle Medien kooperieren und fusionieren, dass wir zuhören (!) und sprechen. Und Market Groseria ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man Menschen in Respekt zueinander bringen kann. Ich denke, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass ich hoffe, dass solche Projekte aus dem Boden schießen. Wir alle wissen, wie anstrengend es sein kann, aber, wie gesagt, wir müssen uns unserer Verantwortung bewusst werden. Und dann bekommt man für das Geschenkte etwas zurück – Gemeinschaft.

Market Groseria ist zu einem Ritual ohne Zwang geworden. Die Gemeinschaft besteht dann aus dem „sinnlosen“ Zusammentreffen von Menschen. Es ist zwanglos und bezieht sich auf das bloße Zusammenkommen. Wir schauen gemeinsam, was wir kreieren. Wir kreieren füreinander. Nicht gegeneinander. Und das gemeinsame Anschauen, Genießen und Rezipieren, das gemeinsame Wachsen an den Überlegungen der anderen, macht es zu einer Geschichte. Und so ist Market Groseria zu einer gemeinsamen Geschichte geworden, die wir jetzt an Orten ohne Kommunikation erzählen müssen.




Foto 1: Kolja Kraft
Foto 2: Jules Rodgers

Zurück